Können Menschen präventiv etwas dagegen tun, sich nicht ständig selbst zu überlasten oder sogar in einen Burnout zu geraten?
Die Einsicht ist ja bekanntlich der Weg zur Besserung. Wir sollten zunächst eine Bereitschaft dafür entwickeln, näher hinzuschauen und zu fragen, was mit uns los ist. Das verlangt nicht unbedingt gleich einen professionellen Kontext. Ein Gespräch in der Partnerschaft oder im Freundeskreis kann zunächst ausreichend sein. Es ist gut, zu regelmäßigen Zeiten eine Rückschau zu halten und sich die Frage zu stellen: „Wie geht es mir gerade und warum geht es mir so? Warum bin ich so geworden und warum habe ich vielleicht Probleme?“ Das wäre schon eine erste Prophylaxe, indem ich in einem allerersten Schritt versuche, innezuhalten und zu reflektieren.
Sind gegebenenfalls die modernen Informationstechnologien ein Auslöser für die ständige Überlastung?
Unser beruflicher Kontext ist sicherlich geprägt durch eine nie dagewesene Informations-Verfügbarkeit. Der achtsame Mensch kann innehalten und hat die Chance, zu relativieren und – nachdem er das in aller Ruhe getan hat – eine Bewertung der Informationen, die auf ihn eingeströmt sind, vorzunehmen. Wenn er das aber nicht tut, wird er reflexartig eine Antwort geben, nur um das Tempo des Interaktionspartners aufrecht zu erhalten – und ihm im vorauseilenden Gehorsam eine gut verdauliche Antwort zu geben. Das geht auf Dauer nicht gut! Der achtsame Mensch ist ruhig, bedächtig, besonnen. Der Irrtum liegt darin zu glauben, nur weil schnelle Medien schnell und die Informationen schnell verfügbar sind, selbst schnell eine Antwort parat haben zu müssen. Genau da passieren die Fehler, da man zu schnell eine Frage bejaht oder verneint, zu schnell eine Zustimmung bei hochkomplexen Vorgängen erteilt oder eine hochintelligente Intervention eines Interaktionspartners möglicherweise verwirft. Die digitale Welt verführt uns einfach, Entscheidungen zu früh zu fällen. Deshalb ist Digital Detox eine wunderbare Methode der Achtsamkeit. Hier muss auch die Gesellschaft umdenken und eine Bereitschaft dafür entwickeln, dass jemand eine digitale Diät hält oder zeitweise nicht erreichbar ist.
Burnout betrifft nicht nur Menschen in Führungsetagen, richtig?
Es wird vergessen, dass nicht nur die Manager, die diesen Titel führen, Manager sind, sondern eigentlich jeder Mensch Managementaufgaben hat. Insbesondere Frauen, die Haus, Beruf und Kinder organisieren müssen. Die völlig überblähte und auf Manager fokussierte Anwendung der Thematik des Überforderungssyndroms und des Stresses wird also ganz vielen Akteuren in der Gesellschaft nicht gerecht. Es wird ebenfalls gern vergessen, dass die Akteure, die sich um die Stressopfer kümmern, in der Diskussion ebenfalls oft nicht berücksichtigt werden. Wer kümmert sich um die psychische Gesundheit der Akteure im Gesundheitswesen? Wer beleuchtet hier eigentlich das Phänomen, dass auch hier diese Menschen überfordert sein können und Gefahr laufen, auszubrennen? Hier müssen wir genau hinschauen und sensibilisieren.
Was ist das Besondere an dem Konzept des Sigma-Zentrums in Bad Säckingen?
Wir haben deswegen Erfolg – und unsere Patienten kommen aus ganz Deutschland – weil wir der festen Überzeugung sind, dass inselartig ausgestanzte, einzelne Therapien nicht erfolgreich sein können. Zum Erfolg führt in der Sigma-Klinik die Beziehung, die die Therapeuten zum Patienten aufbauen und unsere kybernetische Herangehensweise. Das heißt: die Patienten finden bei uns ein angstfreies und wertungsfreies Klima. Wir arbeiten in angstfreier Atmosphäre mit niedrigschwelligem Zugang, dazu gehört viel Elastizität der Therapeuten. Wir arbeiten mit dem Grundverständnis, dass der Patient von sich aus ein Konzept mitbringt, welches wir Therapeuten erst verstehen müssen, um dann gemeinsam mit dem Patienten zu überlegen, was ggf. zu ändern ist. Das heißt, Teil der Therapie ist es, dass der Patient in die Erstellung des Therapieplans mit eingebunden wird. Der Patient weiß am besten, was er nicht will und was ihm nicht guttut. Etwas Anderes ist es, wenn er konsequent Notwendiges vermeidet. Dann ist es die Kunst, zusammen mit ihm das Vermeidungsverhalten behutsam zu beleuchten und ihn gewissermaßen dazu zu verführen und zu ermutigen, dass was er vermeidet, wieder zu versuchen.